Da stehen wir, in der gleißenden Sommersonne, oben im Geröll eines Berges. Es ist die sechste von sieben Überschreitung eines Gebirgskammes, wohlgemerkt wenn man Überschreitungen dabei als ein „Drübergehen über die Breite, nicht die Länge eines Höhenzuges“ definiert. Da-quer, nicht da-längs…. sonst käme man ja nie ans Ziel…

Wir suchen bei der Pause nach einem energetisierenden Ohrwurm…. Adriano Celentano springt uns an „Azzurro ….. na nananananananananaaaaaa na naaaaa….. Azzurro…. Na nananananananananaaa na nanananaaaaa“

Heiß ist es, wunderschön aber fordernd war der Aufstieg von Sankt Jakob (de Chile) unter einem azur-blauem Himmel. Manche haben mittlerweile im Gehen sämtliche Themen und Glaubenssätze mit sich ausgepackt, die gerade so im Leben beschäftigen. „Ich hasse es schwach zu sein“ wäre so einer…. Da tut es gut, wenn die Verrückung der eigenen Realität durch Mitwandernde manchmal liebevoll korrigiert wird…. „Ach so? Du gehst übrigens gerade über die Alpen.“

…da-quer, nicht da-längs… sonst würde es ja noch länger dauern bis man über die Alpen kommt…

„…Es macht was mit einem…“

Wenn wir am Abend an der Rezeption gefragt werden, woher wir kommen, sagen wir „Golling beziehungsweise Königssee“. Da ziehen sich ab dem dritten, vierten Tag die Augenbrauen der Gegenüber hoch. „Heute????“ ……“Und wo geht ihr hin?“….. „zu den Drei Zinnen“…. Und die Augenbrauen, die gerade im Begriff waren zu sinken, rutschen gleich wieder rauf. „Morgen gleich????“

Vielleicht hat man sich angemeldet, weil Anfang und Zielpunkte als Juwelen der Alpen etwas Verführerisches ausstrahlen. Einmal die Drei Zinnen sehen, oder den Königssee – azur-blau und türkis. Das waren vielleicht die Verlockungen, denen man erlegen ist. Aber neben diesen klingenden Namen wird die Alpenüberquerung meist viel mehr oder etwas noch ganz anderes als ein bloßes Besuchen der Berühmtheiten. So wie Tom immer sagt… „es macht was mit einem…“

Es wird zum Herantasten an Grenzen, die gar nicht da sind, wo man sie vermutet. Es wird zu einem gemeinsamen Weg mit anderen und mit sich, geliebt oder manchmal genervt, mit schallendem Gelächter beim Abendessen, Abschnitten des Alleine-Mit-Sich-Gehens, des Umarmens, des Diskutierens darüber wie gemeinsam getan werden soll, des Erzählens und Zuhörens im Gehen, des Erschrecken über einen überraschenden Purzelbaum einer Kameradin ein Stück den Hang hinunter.

Es wird körperlich herausfordernd oder die Chance in jeder Pause meditativ an einem Kinderpullover zu stricken. Es wird manchmal zur Möglichkeit den eigenen Schritt kennen zu lernen und was es mit einem macht, wenn man ihn nur für sich geht. Es wird zur Möglichkeit die tyrannischen Anteile von Individualität und Unabhängigkeit, die uns im Alltag unserer modernen Zeiten vielleicht manchmal auch plagen, aufzugeben…… und sich von jemandem schrittweise zur Scharte und weiter bis zu den Drei Zinnen mitziehen zu lassen. Immer nur auf den Schritt des oder der Vorderen achtend, sich fallen lassen in den Rhythmus eines anderen Menschen dem man vertraut, der oder die gut auf einen achtet und dabei synchron werden. Nicht alles selber tragen müssen, sich (wieder) an gute Begleitung am Weg und im Leben gewöhnen.

Die vorher erdachten und fein säuberlich zu Recht gelegten Ausstiegsszenarien werden so trotz aller Überwindung vom Tisch gewischt. Adriano singt immer noch in meinem Kopf „Azzurro ….. na nananananananananaaaaaa na naaaaa….. Azzurro…. Na na na na nanananananaaa na nanananaaaaa“ ….

die eigene Schrittweite ist das Maß aller Dinge…

Was sagen die Polen?

Wie auch immer, egal ob die Schritte nur so fliegen oder Etappen schwierig sind. Auf was man sich verlassen kann…. es gibt immer jemanden, der den haargenauesten Wetterbericht weiß (der anscheinend von den Polen erstellt wird??), und eine die beim Dehnen der müden Beine hilft weil gerade in der Yoga-Lehrerinnenausbildung und selbst super fit, jemanden der sicht ausgzeichnet mit Staudämmen auskennt und weiß warum der eine bauchig rund und der andere schnurgerade gebaut wurde.

Es gibt eine, die bei Regenwetter mit der gelben Regenhaut aussieht wie eine große liebe Badeente – bei diesem Anblick ist der Dauerregen für uns andere gleich halb so schlimm. Es gibt immer jemanden, die bereit ist am Ufer eines Alpensees Dance-Moves mit den anderen einzustudieren (Anschnallen, Kuppeln, Sprinkleranlage, Pizzabacken,…) um den gemeinsamen Flash-Mob vor den Drei Zinnen vorzubereiten. Es gibt immer jemanden, der oder die freiwillig hintenbleibt und achtsam auf die KameradInnen hinter sich schaut um bei schwierigen Stellen zu helfen oder ein gutes Tempo vor zu gehen. Es gibt jemanden, die zwischendurch eine gute Flasche Wein für alle spendiert oder der so mitreissend nakert in den eiskalten Alpensee hüpft, sodass man einfach hinterher muss. Man kann die Gesichter der anderen zwischendurch suchen und bekommt ein Lächeln und wird, sollte man doch unterwartet eine Rolle über ein unerwartetes Loch vorwärts machen, ganz exzellent erst- und nachversorgt…. und das macht es dann schon auch wieder irgendwie leicht …. die Alpen zu überqueren.

Tag 5 „….ein echter Urlaubstag…“ sagen manche…

Und ganz leise hört man den Waschbär im Rucksack summen „Azzurro … na na na…“

Schlussendlich sitzt ein mitgereister kleiner Stoff-Waschbär, der unbedingt auch die Alpen überqueren wollte, vor den Drei Zinnen und hält die Faust hoch. Juhuuuu! Es gibt Tränen und herzlichste Umarmungen, Freudenfotos vor den drei mächtigen Dolomitentürmen. Später im weichen Gras des Waldes eine berührende Abschieds-Reflexions-Runde und ein Becherl Bio-Rotwein zum Feiern. Am Lago di Landro, azur-blau-türkis mit Blick auf den Monte Cristallo ein Foto von den Mädels – wow, das waren viele! ….und eines von den Jungs – die springen vor Freude!…. und ein Abschied alle miteinander. Jetzt sind tatsächlich die letzten Schritte gegangen!

Fotos: V.Hochgatterer, M.Heuberger, T.Felder

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